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Die Michaelergruft
Gespräch mit Christopher Timmermann

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Um die kulturelle Bedeutung der
Michaelergrüfte zu unterstreichen, hat Planet-Vienna einen Insider zu Wort
kommen lassen, der regelmässig Führungen in die einmalige Grabstätte unter
der Michaelerkirche macht und über fundierte Kenntnis der Grabstätte
verfügt.
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Christopher Timmermann, wie kommt
ein junger Mann wie Sie dazu, Führungen in einer Totenstätte wie der
Michaelergruft zu machen?
Meine Mutter ist nun seit 20 Jahren Fremdenführerin, meine Schwester macht
das seit 15 Jahren und ich seit 10 Jahren. Meine Mutter hat bereits zu
Beginn Führungen in die Michaelergruft gemacht. So bin ich ebenfalls dazu
gekommen, ich bin sozusagen da „reingerutscht". Zudem ist Kaisermühlen meine
Heimatpfarre. Dort sind die Salvatorianer tätig, deren Orden auch die
Michaelerkirche angehört. Ein Freund von mir war eine Zeit lang Mönch im
Michaelerkloster. Somit hatte ich bereits einen Zugang zur Michaelerkirche
und den Grüften. Solche Totenstätten üben allgemein eine Faszination auf
mich aus, und selbst wenn ich auf Urlaub fahre, schaue ich mich um, ob es
vor Ort etwas in dieser Art zu besichtigen gibt. |
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Christopher Timmermann, betreibt
zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern - alle
staatlich geprüfte FremdenführerInnen - das Familienunternehmen Vienna
Walks & Talks (VW&T). Das Unternehmen bietet eine Vielzahl an Führungen,
Rundgängen und Vorträgen an. Die Spezialität von VW&T sind nicht
nur die klassi- |
schen Rundgänge, sondern auch alternative Entdeckungstouren und spezielle Führungen. Dazu gehört
der geführte Besuch der Michaelergruft. VW&T vereint ein sehr breit
gefächertes Insiderwissen über die Donaumetropole und ihre verborgenen
Schätze. Informationen unter
Viennawalks.com
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Und worin liegt diese Faszination?
Es gibt ein Sprichwort, welches
besagt, dass man die Grösse einer Kultur daran erkennt, wie sie mit ihren
Toten umgeht. Dies interessiert mich grundsätzlich. Zu sehen, wie eine
Bevölkerungsgruppe ihre Verstorbenen beisetzt und allgemein wie Totenriten
früher gehandhabt wurden. Bereits als Kind hatte ich nie Angst vor dem Thema
Tod.
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Hat sich Ihre Wahrnehmung des
Themas Sterben und Tod mit der Zeit verändert, nachdem Sie ja durch Ihre
Tätigkeit regelmässig damit zu tun haben?
Ja. Als Beispiel dient hier die
Michaelergruft selbst. Obwohl ich, wie erwähnt, kaum je Angst vor dem Thema
Tod hatte, war es anfangs doch ein Nervenkitzel, in die Gruft hinunter zu
steigen. Heute ist das anders. Um es etwas trivial auszudrücken: Es ist, als
würde ich einen Lagerkeller betreten. Anstatt Wein oder was auch immer
lagern da eben Särge mit Leichen. Das Thema Tod ist für mich zur Normalität
geworden.
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Was für Erfahrungen haben Sie mit
Besuchern gemacht, welche sich die Gruft anschauen?
Die auffälligsten Reaktionen gibt es
bei Kindern und Jugendlichen, beispielsweise, wenn eine ganze Schulklasse
eine Führung in die Gruft unternimmt. Viele haben noch nie im Leben echte
Leichen gesehen. Obwohl ich die Klassen vor Beginn der Führung darüber in
Kenntnis setze, was sie unten erwartet, kommt es immer mal wieder vor, dass
der eine oder die andere zu weinen anfängt. Es ist auch schon öfter
vorgekommen, dass jemandem so mulmig wurde, dass er umgekippt ist. Es gibt
immer wieder auch welche, die sich ekeln vor dem, was sie in der Gruft
erblicken. Weiter habe ich auch schon Besucher erlebt, die nach dem Rundgang
den Entschluss gefasst haben, sich nach ihrem Tod einäschern zu lassen.
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Wenn eine ganze Gruppe von Menschen
durch die Gruft geht, wie sieht es mit der Wahrung der Pietät und der
Totenruhe aus?
Es ist ein schmaler Grat. Ein
wichtiger Beitrag zur Wahrung der Totenruhe und der Pietät gegenüber den
Verstorbenen ist neben einem respektvollen Verhalten das strikte
Fotografierverbot in der Gruft. Denn die Welt soll nicht etwa aufgrund von
Sensationslüsternheit von diesem wertvollen Kulturgut erfahren. Das ist die
Bestimmung des Pfarrers von St. Michael, der hier das alleinige Sagen hat.
Er hat auch erlassen, dass keine Leiche jemals aus der Gruft entfernt werden
darf. Wenn also ein Sarg zur Restauration weggebracht wird, muss der Tote
darin umgebettet werden. Das ist durchaus zu befürworten in Hinblick auf die
Wahrung der Totenruhe der hier Bestatteten. |
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Wien hat viele Totenstätten. Neben
den zahlreichen Friedhöfen verfügen die meisten Kirchen im ersten Bezirk
über eine eigene Gruft. Was macht die Michaelergruft von all den
Bestattungsorten so besonders?
Die Michaelergruft ist ein
Zeitfenster in die Barockzeit. Nirgendwo sind Särge aus jener Epoche so gut
erhalten und die Toten darin mitsamt ihrer zeitgenössischen Kleidung so gut
konserviert. Die erhaltenen Totenbeigaben wie Rosenkränze, Heiligenbilder
und ganz besonders die Gewänder verraten vieles über die damaligen
Gepflogenheiten. Es gab in der Barockzeit eine bestimmte Art von Stickerei,
die nur in Wien hergestellt wurde. In der Michaelergruft gibt es Leichen,
deren Gewänder diese Stickkunst aufweisen. Das ist sehr aufschlussreich.
Zusammengefasst: Die Michaelergruft ist in Österreich und auch weit über die
Landesgrenzen hinaus aus kulturhistorischer Sicht absolut einmalig.
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Gibt es noch weitere „Highlights"
in der Michaelergruft?
Neben den soeben erwähnten
Besonderheiten ist die Familiengruft der Werdenberg von grosser Bedeutung.
Die Zinnsärge, die da stehen, sind vom selben Künstler geschaffen wie die
Prunksärge in der Kaisergruft. Weiter sind in einer Nebengruft zwei komplett
eingemauerte Särge vorhanden. Und vor ein paar Jahren hat man am hinteren
Ende vom Hauptschiff eine erhöhte Nische entdeckt, in welcher ein Nachfahre
von Christoph Kolumbus bestattet ist. Das belegt eine Metallplatte mit
Inschrift, die man am zerfallenen Sarg gefunden hat. Man ist zufällig darauf
gestossen, denn auf alten Plänen der Gruft sind Lüftungsschächte
eingezeichnet, die teils zugemauert waren. Als man sie öffnete, stiess man
in dem einen Fall anstatt auf den erwarteten Lüftungsschacht auf das Grab
des Portugiesen.
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Ist die Michaelergruft
wissenschaftlich bereits völlig aufgearbeitet?
Es gibt noch einige Ecken und
Seitengrüfte unter der Michaelerkirche, die noch wenig oder gar nicht
erforscht sind. Leider existiert derzeit kein einheitliches Konzept, was die
Erfassung und weitere Erforschung der Gruft betrifft. Einerseits sollte der
Gruftbestand mal genau dokumentiert und ein Plan gemacht werden, wer für was
zuständig ist. Da empfinde ich leider die Kommunikation zwischen der
Klosterpfarre und uns Gruftführern etwas zu dürftig.
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Die Michaelergruft war ja lange
vom Zerfall bedroht. Welche Vorkehrungen sind getroffen worden, um dem
weiteren Zerfall der Särge und der Toten effizient entgegenzuwirken?
Vor ein paar Jahren wurde eine
Klimaanlage installiert, welche die Temperatur konstant auf 12 Grad Celsius
hält. Weiter wird permanent entfeuchtet. In den letzten vier Jahren wurden
gut 80 Kubikmeter Wasser aus der Gruft geholt. Dadurch ist der Zustand
bezüglich Feuchtigkeit und Temperatur in der Gruft momentan optimal, was
einen weiteren Zerfall weitgehend verhindert. Das Hauptproblem war ja der
Rüsselkäfer, welcher der erhaltenswerten Substanz stark zusetzte. Gemäss
einer Studie der Universität ist dieser Schädling jetzt grösstenteils
abgestorben und richtet kaum weiteren Schaden an. Von den rund 100 barocken
Holzsärgen sind etwa 50 noch reparierbar. Die restlichen sind vom
Rüsselkäfer zerfressen. Man muss mit Kosten von 5000 Euro rechnen, um einen
Sarg zu restaurieren. Wir brauchen also viel Geld, um dieses schaurig-schöne
Kulturdenkmal auch für die Nachwelt zu erhalten.
Herr Timmermann,
herzlichen Dank für das Gespräch. |
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