Wien und der Tod

Planet-Vienna, Vanitas-Darstellung im Stephansdom

Der Tod – er muss selbst ein Wiener sein, und kaum woanders scheint er sich wohler zu fühlen als in der alten Kaiserstadt. Schon immer hatte man in Wien zum Tod ein besonderes Verhältnis, was nicht zuletzt der Stadt ihren wunderbar morbiden, reizend-staubigen, herrlich modrigen Touch verlieh. Besonders wenn es Nacht wird in der Millionenstadt an der Donau und die schummrige Strassenbeleuchtung angeht, links und rechts von menschenleeren Gassen düstere Barockfassaden von scheinbar unbewohnten Häusern sich hochziehen, man im Gassengewirr aus der Ferne Schritte vernimmt, irgendwo eine Kirchenglocke an den Lauf der Zeit erinnert… dann fühlt man sich der Schattenwelt jenseits allen Lebendingen besonders nah.

Jedes der alten Gebäude könnte seine Geschichte erzählen, birgt womöglich dunkle Geheimnisse um den Tod. Im November entfaltet die Todesstimmung in Wien ihren grössten Reiz, wenn dichter Nebel sich niedersenkt und durch die unendlichen Gräberfelder zieht, krächzende Krähenschwärme über den Friedhöfen mit ihren düsteren Gruften kreisen, ein feucht-kalter Wind modrigen Geruch dem Friedhofsbesucher entgegenbläst…

Hier lieg‘ ich und muss verwesen
Was Ihr seid, bin ich auch gewesen;
Was ich jetzt bin, das werdet Ihr,
Geht still vorüber und betet mir.“

Skurriles und Seltsames hat sich im Laufe der Zeit im Zusammenhang mit Tod und Verwesung in Wien entwickelt. Es gab Regenten, welche dem üppigen und aufwendigen Totenkult der Wiener Bevölkerung Einhalt gebieten wollten. Es entstand die Idee, die Leichen von der Innenstadt durch eine unterirdische Leitung mit Hochgeschwindigkeit nach Simmering in ein Sammelgrab zu befördern. Es wundert nicht, dass die Wiener mit höchster Bestürzung reagierten. Dafür ordnete Kaiser Joseph II. um 1785 den so genannten Sparsarg an, welcher am Boden eine Klappe hatte, durch die der Tote ins Grab fiel und der Sarg somit wieder verwendet werden konnte. Die prunksüchtige Bevölkerung war auch darob überaus entrüstet und protestierte lautstark, sodass der Kaiser seine Anordnung innert Kürze wieder zurücknahm. Einen solchen Sparsarg kann man noch heute im Bestattungsmuseum besichtigen.

Planet-Vienna, Michaelergruft
Michaelergruft

Das Museum zeigt eine umfangreiche Exponatensammlung rund um den Tod in Wien und das Bestattungswesen. Neben Trauerlivréen, Totenaccessoires, Urnen, Sargmodellen und Leichenwagen zeigt das Museum auch die berüchtigte Vorrichtung, welche Scheintoten, die während der Aufbahrung aus dem Koma erwachten, ermöglichte, mit der Kordel, die ihnen an der Hand befestigt wurde, Alarm zu schlagen. Dabei klingelte eine Alarmglocke im Zimmer des Friedhofwächters. Es ist allerdings gut nachvollziehbar, dass diese Alarmglocke sehr oft erklang. Weniger weil etwa tatsächlich jemand scheintot war, sondern vielmehr einerseits wegen Tieren, welche über die Kordel stolperten, andererseits durch physikalische Vorgänge im Inneren der Leichen, welche eine abrupte Bewegung der Gliedmassen verursachen konnten.

Die Leute fürchteten sich davor, versehentlich unbemerkt lebendig begraben zu werden, und diese Angst hatte in der Tat seine Gründe. Noch Ende des 19. Jahrhundert wurde die Möglichkeit eines unbemerkten Scheintodes auf 0,5 bis 2 Prozent geschätzt. Viele Menschen bestanden deshalb darauf, dass ihnen vor ihrer Beisetzung das Herz durchstochen oder die Schlagadern geöffnet wurden, um sicherzugehen, dass der Tod endgültig eintritt. Sogar heute noch gibt es in Wien Patienten, welche sich post mortem eine Giftspritze verabreichen lassen wollen, um sicher zu gehen. Eine andere Gepflogenheit, die sich ebenfalls bis heute erhalten hat, ist die so genannte „Leichenwendfeier“. Es ist dies ein feuchtfröhlicher Höhepunkt des Studiums eines angehenden Mediziners, bei dem die zu obduzierende Leiche gewendet wird.

Studium und Tod

In Wien hat man schon immer grossen Wert auf feierliche Beisetzungen gelegt. So ist das „Pompfünebrieren“ auch heute noch gang und gäbe, denn daraus hat sich auch der Begriff „a schöne Leich“ manifestiert, welcher ein Prunkbegräbnis bezeichnet; und dieser für nicht-Wiener freilich bizarre Begriff findet ausschliesslich in der Donaumetropole Verwendung.

Planet-Vienna, Leichenzug um 1830
Biedermeierlicher Leichenzug um 1830

Im alten Wien lagen die Friedhöfe vornehmlich in der Innenstadt, da Angehörige ihren Toten möglichst nahe sein wollten. Bald aber verbot Kaiser Joseph II., welcher für seine Reformen bekannt war, nicht zuletzt aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen die Bestattung unter den Kirchen im Zentrum der Stadt, denn die Gruftgewölbe waren da besonders zu Pestzeiten bis unter die Decke mit Leichen gefüllt. Deshalb befahl der Kaiser, Friedhöfe in den damaligen Wiener Vororten anzulegen. Wenige Jahrzehnte später waren jedoch auch diese Friedhöfe wieder in der Stadt drin, weil diese ungeahnt schnell gewachsen war. 1874 wurde in Simmering der Zentralfriedhof gegründet. So wurden viele der josephinischen Vorstadtfriedhöfe aufgelassen, namhafte Persönlichkeiten nach Simmering umgebettet und die Areale in Grünflächen umgewandelt.

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Die Verbundenheit der Wiener mit dem Tod und Verstorbenen war so innig, dass es kaum verwundert, dass man selbst im Rahmen des Medizinstudiums die Finger von echten Verstorbenen liess. Im Jahre 1781 gründete Kaiser Joseph II. ein Militärhospital, in dem es erlaubt war, neben der Pflege von kranken Menschen an diesen gleichzeitig medizinische Studien zu betreiben. Das Spital wurde ausgebaut, und noch heute befinden sich an dessen Stelle, wo übrigens das heutige Allgemeine Krankenhaus steht, zahlreiche medizinische Einrichtungen.

Berüchtigt war der so genannte Narrenturm, welcher bin 1860 in seinen 139 Zellen geisteskranke Menschen beherbergte. Heute sind in dem Turm nicht weniger als 42‘000 Präparate von menschlichen Fehlbildungen und missgestalteten Körperteilen ausgestellt. Um den Studenten dennoch eine möglichst naturnahe Gelegenheit zum Studium des menschlichen Organismus zu bieten, veranlasste Kaiser Joseph II. die Anfertigung von lebensgrossen Wachsfiguren mit Echthaar. Einige davon kann man noch heute besichtigen.

Planet-Vienna, Knochenhaufen in den Katakomben unter dem Wiener Stephansdom
In den Katakomben untder dem Dom

Wien und der Tod hat als Thema ganz besonders auch im Wiener Lied seit eh und je seinen festen Platz. Der Tod wird besungen, man scherzt gar darüber, und so schaffte man es, durch das Lied und der Thematisierung des Dahinscheidens dessen Schrecken und die Furcht davor zu dämpfen. So erklingt bei fröhlichem Gelage nicht selten das altbekannte Wienerlied, in dem es heisst „Es wird der Wein sein, und mir wen nimmer sein…“