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Bis in die Mitte des letzten
Jahrhunderts existierte auf dem Turm des Stephansdoms in der Stube des
Turmwärters eine Kegelbahn. Der Raum war klein mit niedriger Decke und die
Bahn daher sehr kurz. Der Platz war so eng, dass die Spieler sich mit dem
Rücken gegen die Bahn stellen und die Kugel zwischen den Beinen hindurch
gegen die Kegel rollen mussten. Das erschwerte selbst dem erfahrensten
Spieler das Umwerfen aller Kegel auf einen Schlag. Regelmässig lud der
Turmwärter seine Freunde zu Spiel und Trunk. Diese Gelage waren jeweils so
lustig und lärmig, dass es gar in den umliegenden Häusern zu vernehmen war.
Es war in etwa zur selben Zeit, als ein altes Mütterchen vor dem Riesentor
des Doms täglich und bei jeder Witterung Wachskerzen zu verkaufen pflegte,
um die nötigen Groschen zum Leben zu verdienen. Das Mütterchen hatte einen
Sohn, welcher schon in jungen Jahren mit seinem Lehrmeister im Turm dem
Kegelspiel frönte. Anfangs durfte er lediglich die Kegel stellen und
gelegentlich eine Kugel stossen. Später aber begann er, regelmässig zu
spielen und eignete sich so grosses Geschick an, dass er mit jedem Wurf alle
neun Kegel zu Fall brachte. Daher wollte schon bald keiner mehr mit ihm um
die Wetter spielen, weil er immer der Gewinner war, und so spielte er fortan
nur noch für sich allein.
An einem Sonntag, als er sich
wieder in die Turmstube zum Kegelspiel begeben wollte, bat ihn seine Mutter
um Vernunft und dass er doch wenigstens an dem gesegneten Tage des Herrn
seiner Spielsucht entsagen möge. Er wollte ihrem Wunsch nicht entsprechen
und stieg empor zur Kegelbahn. Seine Mutter war sehr erbost und rief ihm
nach, dass sie sich ab sofort von ihm abwende. Die anderen Spieler auf dem
Turm mochten nichts mehr mit dem jungen Mann zu tun haben, so dass er stets
warten musste, bis die anderen mit ihrem Spiel fertig waren. So kegelte er
ganz alleine und betrank sich dabei jeweils dermassen, dass er nicht mehr
gerade stehen konnte.
Als an jenem Abend die
Turmglocke zur mitternächtlichen Stunde schlug, erschein plötzlich ein
hagerer Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Aus dunklen Augenhöhlen
in seinem eingefallenen und totenblassen Gesicht starrte der Alte ihn an,
wobei seine Gestalt im fahlen Mondlicht keinerlei Schatten warf. Der junge
Mann erschauderte, doch da fasste ihn der Alte mit seiner knochigen Hand auf
die Schulter und sagte leise zu ihm: „Es ist Mitternacht. Halte ein, und
beende dein Spiel!“ Der Kegler griff zum Wein, trank hastig einen weiteren
Becher voll und rief wütend: „Wenn ich will, kegle ich bis zum jüngsten Tag!
Mach mit, denn alleine ist es gar arg langweilig.“
Nun hob der Alte drohend seinen Finger und antwortete: „Nun denn, du
widerspenstiger Narr. Wenn ich verliere, so zahle ich Dir jeden Geldbetrag,
den du verlangst. Aber bedenke, dass jeder meiner Kugelwürfe alle neun
trifft.“ Voller Selbstsicherheit ging der junge Mann die Wette ein, packte
jedoch einen Kegel und warf diesen aus dem Fenster auf die Strasse hinunter.
Jetzt entledigte sich der Alte seines Mantels, und zum Vorschein kam ein
blankes Totengerippe. Es sprach: „So läuft die Wette nicht. Nun vorwärts,
der Tod wartet nicht gern! Gelingt es dir nicht, neun Kegel auf einen Schlag
zu treffen, so wird deine Seele mein, und du kommst nicht mehr lebend vom
Turm.“ Jetzt grauste dem Junggesellen gewaltig, und verzweifelt suchte er
mit heftigem Fluchen einen Ersatz für den Kegel, den er auf die Strasse
geworfen hatte.
Dann sprach der Knochenmann zornig: „Nun, du Spitzbub, ich benötige den
neunten Kegel nicht. Der Tod trifft alle neune, auch wenn es deren nur acht
sind.“ Diese Worte gesprochen, ergriff das Gerippe eine Kugel und
schleuderte sie mit solch ungeheurer Wucht gegen die acht Kegel, dass diese
mit tosendem Geschepper auseinanderbarsten und dabei auch der Geselle auf
den Boden stürzte. Als der Morgen graute, fand ihn der Turmwärter tot
zwischen den acht Kegeln liegen.
Nach diesem Ereignis war es noch
lange der Brauch, dass Besucher, welche den Turm des Stephansdoms besteigen
wollten, in der Türmerstube einen Kugelwurf auf der Kegelbahn machten, um
die arme Seele zu erlösen.
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