Kandlkapelle

23. Bezirk, Breitenfurterstrasse (gegenüber Nr. 198)

planet-vienna, die kandlkapelle

Sie wird kaum beachtet, die kleine Kapelle an der Breitenfurterstrasse in Atzgersdorf. Ziemlich unauffällig versteckt sie sich im Sommer hinter der Baumreihe, welche den Gehsteig von der Strasse trennt, und fällt dadurch noch weniger auf. Erbaut wurde die Wegkapelle mit flachem Zeltdach Anfang 19. Jahrhundert im klassizistischen Stil. Ihr Grundriss ist dreieckig, was auf die Heilige Dreifaltigkeit hinweist. Ursprünglich befand sich im Inneren ein Holzkreuz mit Dreifaltigkeitsdarstellung. Jüngst ist dieses jedoch gestohlen worden, worauf man es mit einem schlichteren Kreuz ersetzt hat, das in einer waldviertler Werkstatt angefertigt worden war. Über dem Portal prangt in einer kleinen Nische eine Johannes-Nepomuk-Darstellung. Die Ecken sind mit korinthischen Pilastern akzentuiert. Die Kapelle stand anfangs an der Ecke Breitenfurterstrasse/Hödlgasse, wurde aber im Jahre 1963 an den heutigen Standort versetzt, weil sie für den Verkehr hinderlich geworden war. Die denkmalgeschützte Kapelle ist nicht nur architektonisch interessant, sondern vor allem wegen ihrer faszinierenden und gleichsam tragischen Hintergrundgeschichte.

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Als in den letzten, bitterkalten Dezembertagen des von kriegerischen Umständen geprägten Jahres 1808 in der Piaristengasse in der Josefstaft ein regungslos im Schnee liegender Mann entdeckt wurde, glaubte man zuerst, ein weiterer Betrunkener sei der Kälte erlegen. Doch als man feststellte, dass der Mann spärlich gekleidet in einer riesigen Blutlache lag, ging man sogleich von Raubmord aus. Schnell stellte sich heraus, dass es sich beim Toten um den angesehenen Lebensmittelhändler Matthias Kandl handelte. Er lebte im Hunglgrund Nummer 9 nahe beim Matzleinsdorferplatz und betrieb dort das Geschäft „zum Salzküffel“. Als aber der Bäckermeister Werner aus Heiligenstadt als Zeuge hinzutrat und behauptete, die Ehefrau des Toten sei die Täterin, hat man sogleich eine Hausdurchsuchung im Hunglgrund angeordnet. Man entdeckte in Bettnähe Blutspritzer, welche jemand zuvor entfernen hatte wollen. Dann wurde im Bett der blutverschmierte Anzug Matthias Kandls gefunden.

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Die Beweislast wurde so gross, dass Theresia Kandl zusammenbrach und gestand, ihren Mann mit einer Hacke erschlagen zu haben. Als Grund gab sie an, wiederholt von ihrem Mann nach Streitigkeiten brutal verprügelt worden zu sein. Sie hasste den Tyrannen und wollte ihn aus der Welt schaffen, um für ihren Liebhaber, ein Fleischhauer aus Mauer, frei zu sein. Sie gab zu Protokoll, dass sie die Leiche in eine Holzbutte gestopft und auf dem Rücken von Matzleinsdorf quer durch die Wiener Innenstadt bis in die Piaristengasse getragen und dort abgelegt habe. Matthias Kandl war ein schwergewichtiger Mann von über 100 Kilo, was den Richter nicht wenig erstaunte, besonders angesichts des zierlichen Körperbaus von Theresia Kandl, welche als „schöne Thesi“ bekannt war. Das Gericht zweifelte allerdings, dass Theresia dieses Werk alleine vollbracht hatte, aber mangels Beweisen musste man von ihrer Version ausgehen.

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Theresia Kandl wurde des Meuchelmordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Vor ihrer Hinrichtung am Galgen bei der Spinnerin am Kreuz am 16. März 1810 musste sie am Pranger grosse Schmach über sich ergehen lassen. Die Mordhacke ist heute im Kriminalmuseum in der Leopoldstadt ausgestellt. Die Kandlkapelle wurde als Gedenkkapelle für Theresia Kandl erbaut, was insofern etwas verwundert, als man damit einer Mörderin gedenkt. Als Standort wurde Atzgersdorf gewählt, weil dies der Heimatort von Theresia Kandl war.


planet-vienna, Theresia Kandl legt die Leiche ihres Gatten in der Piaristengasse ab (neuzeitliches Acrylgemälde)
Theresia Kandl legt die Leiche ihres Gatten in der Piaristengasse ab (neuzeitliches Acrylgemälde)

planet-vienna, Original Todesurteil der Theresia Kandl
Original Todesurteil der Theresia Kandl