Katakomben

1. Bezirk, Stephansplatz

Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan

Wer es nicht weiss, der würde beim Schreiten auf den Bodenplatten des Stephansdomes nicht vermuten, dass sich wenige Meter unter seinen Füssen eine riesige, dunkle Welt der Toten befindet. Des Erdreich unter dem Dom ist quasi ein einziger Hohlraum, welcher über die Jahrhunderte hinweg (seit ca. 1486) traurige und makabere Geschichte schrieb. Im linken Seitenschiff des Doms befindet sich der Eingang in diese düstere Unterwelt.

Steigt man hinab, gelangt man zuerst in den alten Teil der Katakomben, welcher jedoch einen modernen Eindruck macht. Weisser Verputz, moderne Neonlampen und ein neuzeitlicher Plattenboden machen die Räumlichkeiten aus. Nachdem man die Krypta durchschritten hat, steht man in der Gruft, in der sich mehrere hermetisch verschlossene Kupfersärge und Kupfergefässe befinden. In den Särgen liegen Bischofsleichen, welche durch die fehlende Luft nicht verwesen.

Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan
Urnen mit Eingeweiden

Die Metallgefässe, die teils reich verziert mit Kreuzen, Totenschädeln und Inschriften, teils schlicht und ungeschmückt sind, enthalten die Eingeweide der Habsburger. Es war in Wien Brauch, die Körper der Verstorbenen zu leeren und die Innereien separat zu bestatten in einem Gefäss, das eine konservierende Alkohollösung enthält. Die leeren Körper befinden sich in der Kaisergruft unter der Kapuzinerkirche und die Herzen teils in der Herzgruft in der Augustinerkirche. Die im Stephansdom aufgestellten Eingeweide-Urnen haben unterschiedliche Grössen. Das rührt daher, weil einige von ihnen im Laufe der Zeit undicht geworden sind. Um den austretenden Gestank zu unterbinden, hat man die betroffene Urne einfach in ein grösseres Kupfergefäss gestellt und dieses erneut luftdicht verschlossen.

Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan

Als nächstes gelangt der Besucher in die Gruft, in welcher die Domherren und Bischöfe hinter roten Marmorplatten bestattet sind. Die Nischen für die Nachfolger werden bereits freigehalten. Betritt man den später geschaffenen Teil der Katakomben, wird es dem Besucher schon ganz anders zumute.
Dunkle Gänge, erfüllt mit modriger Luft, führen weiter ins Erdinnere. Man gelangt in einen Raum, in welchem sich ein vergittertes Fenster befindet. Dahinter liegt ein weiterer Raum, der bis obenhin mit menschlichen Gebeinen angefüllt ist. Auf den Knochenhaufen liegen einige zerfallene Särge mit mehr oder weniger intakten Skeletten, die zumindest als solche noch erkennbar sind.

Alle Räume, die für den Besucher zugänglich sind, waren einst bis unter die Decke gefüllt mit Leichen. War ein Raum voll, wurde er zugemauert, und man füllte den nächsten Raum mit Toten. Mit der Auflassung des Friedhofes um den Dom um 1732 kam nochmals eine Unmenge an Toten hinzu, welche in den Katakomben bestattet werden sollten. Eine besonders grausige Einrichtung bestand in der Zeit, als die Pest in Wien wütete. Die Zahl der Dahingerafften häufte sich dermassen, dass man nicht mehr imstande war, die Berge von Toten standesgemäss zu bestatten. Daher wurde auf der Seite des Domes eine Öffnung gegraben, durch die man die Leichen über eine rutschbahnartige Vorrichtung in die Tiefe beförderte.

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Die Pestgrube

Eine sogenannte Pestgrube ist heute noch sichtbar. Es ist eine kleine runde Öffnung, durch die gerade ein menschlicher Körper hindurchpasst. Der Hohlraum darunter ist bis obenhin voll mit Knochen. Es gab Zeiten, in denen der Stephansdom geschlossen wurde, weil der enorme Verwesungsgestank, welcher aus der Tiefe durch die Ritzen drang und das Kircheninnere erfüllte, nicht zu ertragen war. Man verriegelte auch die Katakomben.

Anfang des 19. Jahrhundert wurden Mönche und Sträflinge in die Katakomben geschickt mit der Aufgabe, in den dunklen Räumen Ordnung zu schaffen. Was sie in der Tiefe antrafen, dürfte grauenvoll gewesen sein: Ein heilloses Durcheinander von menschlichen Überresten, halb oder ganz verweste Leichen bis unter die Decke übereinander liegend – jenseits jeglicher Ordnung.

Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan

Man begann, die Toten zu stapeln und lose Gebeine aufzuschichten, Särge soweit möglich zu ordnen und Platz zu schaffen. Schon bald herrschte unter dem Stephansom wieder sowas wie Ordnung. Dann öffnete man die „Kirchen Krufften“ wieder und liess gar Besucher unter Führung hinabsteigen. So unternahm auch eine gewisse reisende Schriftstellerin aus England, Frances Trollope, eine solche Exkursion ins Totenreich mit Wachskerzen in den Händen. Sie muss knapp einem Trauma entronnen sein, wenn man ihre wörtliche Beschreibung liest (s. unten).

Dieser Bericht Trollopes gelangte an die Öffentlichkeit und löste Entsetzen und Unverständnis aus, denn man wusste nicht, was für ein respektloses und nekrophiles Treiben in den Katakomben herrschte. Die Räume wurden darauf wieder geschlossen, aber dennoch schafften es viele, das Verbot zu umgehen und in die Tiefen zu steigen.

Frances Trollope mit ihrer Tochter und dem Gefolge in den Katakomben
F. Trollope mit ihrer Tochter und dem Gefolge in den Katakomben

Selbst die Wiener Prominenz interessierte sich für die düstere Welt unter dem Dom. Der Schriftsteller Adalbert Stifter unternahm mit Freunden im November 1841 unter der Leitung eines Ortskundigen eine Exkursion in die Tiefen unter dem Stephansdom. Beim Anblick einer mumifizierten Frauenleiche hielt er folgendes fest:

„Mit welchem Pompe mag sie einst begraben worden sein! Und im welchem Zustande liegt sie jetzt da! Blossgegeben dem Blicke jedes Beschauers, schnöde auf die Erde niedergestellt, und unverwahrt vor rohen Händen; das Antlitz und der Körper ist wunderbar erhalten, die Züge des Gesichts sind erkennbar, die Glieder des Körpers sind da, aber die züchtige Hülle desselben ist verstaubt und zerrissen, nur einige schmutzig-schwarze Lappen liegen um die Glieder und verhüllen sie dürftig, auf einem Fusse schlottert ein schwarzer Strumpf, der andere ist nackt, die Haare liegen wirr und staubig, und die Fetzen eines schwarzen Schleiers ziehen sich seitwärts und kleben aneinander wie ein gedrehter Strick – diese Zerfetzung des Anzuges und die Unordnung, gleichsam wie eine Art Liederlichkeit, zeigte mir ins Herz schneidend die rührende Hilflosigkeit eines Toten und widersprach fürchterlich der Heiligkeit einer Leiche.“


Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan
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Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan, lapidarium
Lapidarium
Planet-Vienna; die Katakomben von St. Stephan

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