14. Bezirk, Hauptstrasse 9

Im Jahr 1042 spazierte die selige Königin Gisela, Witwe des heiligen Stephan, des ersten Königs von Ungarn, durch die grünen Auen am Wienfluss. Krank und auf Erholung bedacht, verspürte sie plötzlich Durst. Ihre Begleiter schöpften Wasser aus einem Brunnen und entdeckten darin eine Marienstatue mit dem Jesuskind. Gisela trank von dem Wasser – und wurde augenblicklich gesund. Aus Dankbarkeit liess sie an Ort und Stelle eine Kapelle errichten, in der die Statue aufgestellt wurde. Doch die Hochwasser des Wienflusses zerstörten das kleine Gotteshaus bald, worauf die Statue in die alte Pfarrkirche von Weidlingau gelangte.
Um 1467 drangen Truppen des Ungarnkönigs Matthias Corvinus in Weidlingau ein und warfen die Statue ohne erkennbaren Grund zurück in jenen Brunnen, in dem sie einst gefunden worden war. Mit der Zeit geriet sie in Vergessenheit. Jahre später vernahm man aus dem Brunnen himmlische Musik. Man folgte dem Klang, entdeckte die Statue wieder und barg sie – so erzählt es die Legende.

Bereits im 16. Jahrhundert gab es in Weidlingau eine Kapelle. Als Kaiser Ferdinand II. im Jahr 1636 den Unbeschuhten Augustinern den Auftrag erteilte, hier ein Kloster mit Kirche zu errichten, wurde die Kapelle durch den Neubau ersetzt. Die Baupläne, nach denen die Kirche zwischen 1639 und 1655 entstand, stammen vom italienischen Architekten Domenico Carlone. Mariabrunn entwickelte sich rasch zu einem beliebten Wallfahrtsort für Wiener und Bewohner der umliegenden Orte. Um 1662 trat hier der spätere berühmte Wiener Prediger Abraham a Sancta Clara in den Orden ein und absolvierte in Mariabrunn sein Noviziat.

Nach den Verwüstungen durch die zweite Türkenbelagerung von 1683 wurde die Kirche wiederhergestellt. Das Kloster blieb von den josephinischen Reformen verschont und wurde nicht aufgehoben. Dennoch endete 1828 das Klosterleben in Mariabrunn, da der Orden ausstarb. Die Klosterkirche wurde zur Pfarrkirche, und im Klostergebäude zog die kaiserliche Forstakademie ein, welche heute – zum Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) gehörend – die Gebäude nutzt.
Ein Glockenturm schräg zum Schiff
Die Fassade der Wallfahrtskirche Mariabrunn zeigt sich im schlichten Frühbarock. Um 1729 wurde der Portalvorbau angefügt, der eine Kreuzigungsgruppe aus derselben Zeit birgt. Das grosse Fenster darüber erhielt 1911 eine Verglasung im Jugendstil, welche die heilige Cäcilia, Patronin der Kirchenmusik, darstellt. An der Chorseite schliesst stumpfwinklig das ehemalige Klostergebäude an, was der Gesamtanlage einen eigenwilligen Grundriss verleiht. Auch der Glockenturm ist geometrisch am Klostertrakt ausgerichtet und steht daher ebenfalls schräg zum Kirchenschiff. Rechts neben der Kirche befindet sich ein barocker Brunnen mit einer prächtig gewandeten Kopie der Marienstatue. Das Original ist auf dem Hochaltar im Kircheninneren zu sehen.

Das Innere der Kirche präsentiert sich – einer Wallfahrtskirche angemessen – reich und prunkvoll ausgestattet. Grosszügige Spenden aus dem Kaiserhaus und dem Adel, deren Mitglieder die Kirche gern bei Jagdausflügen in den umliegenden Wäldern besuchten, ermöglichten diese Pracht. Die originale Marienstatue auf dem Hochaltar, aus Lindenholz gefertigt und von einem Halbmond und Strahlenkranz umgeben, stammt aus der Spätgotik oder Frührenaissance. Der Hochaltar selbst ist üppig gestaltet: Im oberen Teil thront Gottvater mit goldener Weltkugel, begleitet vom Heiligen Geist und den Erzengeln Gabriel und Raphael. Links und rechts über dem Tabernakel stehen lebensgrosse Statuen der Heiligen Augustinus, Monika, Zacharias und Elisabeth. Obwohl aus Holz gefertigt, vermittelt die bemalte Oberfläche des Altars den Eindruck von massivem Marmor. Auch die sechs Seitenkapellen im Kirchenschiff sind jeweils mit einem reich ausgestatteten Altar versehen.
